
Chronischer Schmerz ist sicherlich einer DER Herausforderungen der Achtsamkeitsmeditation. Auch wenn ich es gerne versprechen würde: Man kann keinerlei Schmerz wegmeditieren.
Weshalb sollte man es dennoch einmal mit Achtsamkeit versuchen?
Weil neueste Studien bewiesen haben, dass Schmerz und Stress eng miteinander verzahnt sind. Es liegt auf der Hand, dass Schmerzen uns stressen. Aber wusstest du, dass Stress auch Schmerzen verursachen kann?
Weshalb das so ist, möchte ich dir auf dieser Seite erklären.
Das Nervensystem spinnt!
Jeder Schmerz hatte einmal seine Berechtigung.
Wir hatten einen Unfall und haben uns das Bein gebrochen. Wir haben pausenlos gearbeitet, wenig gegessen und getrunken und haben nun Kopfschmerzen. Die Bauchschmerzen nach dem Genuss verdorbener Nahrungsmittel; die Finger, die wir uns an einem heißen Topf verbrannt haben.
In diesen Fällen zeigt uns der Schmerz den Weg. Wir müssen uns schonen, dem Körper Zeit geben zu heilen und lernen, das nächste Mal umsichtiger zu sein und Unfälle oder verdorbene Nahrung zu meiden.
Was aber, wenn nichts dergleichen passiert ist?
Oder wenn der Schmerz weiterbesteht, obwohl das Gewebe längst geheilt ist?
Manchmal bleiben die Schmerzen bestehen, obwohl uns gesagt wird, dass nun alles wieder gut ist. Das Gewebe sei geheilt. Der Körper funktioniere wieder.
Aber es fühlt sich einfach nicht so an.
Wieso eigentlich nicht? Haben die Ärzte etwas übersehen? Oder spinne ich? Bilde ich mir die Schmerzen nur ein?
Vermutlich nichts von all dem.
Menschen mit chronischem Schmerz spinnen nicht.
Sie bilden sich auch nichts ein.
Menschen mit chronischen Schmerzen haben einfach überempfindliche Nerven!
Jeder Nerv ist mit Gefahrensensoren ausgestattet. Das ist sehr hilfreich, weil er auf diese Weise dem Gehirn in Sekundenbruchteilen mitteilt, dass mit dem Körper etwas nicht in Ordnung ist und dass er geschützt werden muss.
Menschen, die diese Sensoren nicht besitzen, werden meist nicht sehr alt! Sie wissen einfach nicht, was tödlich ist und was nicht. Deshalb ist es überlebenswichtig, dass Nerven Schmerzsignale aussenden.

In manchen Fällen ist es aber so, dass das Gehirn annimmt, dass an der ursprünglich verletzten Stelle wieder etwas Schlimmes passieren könnte und erhöht die Alarmbereitschaft der Nerven. Die DNA des Neurons erhöht die Empfindlichkeit der Nervenmembran, indem es mehr Stresssensoren produziert. Alles ist noch besser auf einen Angriff vorbereitet. Alles ist in Gefechtsbereitschaft.
Wenn der Körper in den Kampfmodus gerät, werden die Nervenzellen alarmiert und beginnen zu feuern.
Und der Schmerz beginnt, obwohl er in dieser Situation gar keinen Sinn mehr macht.
Genau das ist die Erklärung dafür, dass Stress Schmerzen verursachen können.
Denn Stress ist mit der Aktivierung des sympathischen Nervensystems verbunden. Dieses Nervensystem ist seit Urzeiten dafür zuständig, dass unser Körper dazu in der Lage ist, sich vor Bedrohungen zu schützen. Der Blutdruck steigt, die Muskeln werden mit mehr Sauerstoff versorgt, die Verdauung wird runtergefahren, wir atmen schneller. Alles ist bereit um zu kämpfen und zu fliehen. Alles ist aktiv.

Wenn die Nervenmembran mit mehr Stresssensoren ausgestattet ist, reagiert sie natürlich auch schneller und intensiver auf Stresshormone wie Kortisol. Auf diese Weise kann ein sehr unguter Kreislauf in Gang gesetzt werden, weil wir Menschen uns einfach nicht vor Stress schützen können und weil Schmerzen an sich schon Stress auslösen.
Beim kleinsten Stress haben wir also reale Schmerzen, die aber keinen Sinn mehr ergeben.
Und hier kommt die Wirkung des MBSR-Trainings ins Spiel.
Weshalb MBSR bei chronischen Schmerzen hilft
Wie der Name (Mindfulness-based Stress Reduktion) es schon sagt, ist das Training auf die Reduktion von Stress ausgerichtet. Damit ist es eine wichtige Stellschraube in der Bekämpfung von chronischem Schmerz. Neben einer medikamentösen Einstellung trägt es dazu bei, dass die überempfindlichen Nervenenden zur Ruhe kommen.
Damit will ich nicht den Eindruck erwecken, dass der Schmerz durch MBSR „weggeht“ als würden wir uns eine Pille einwerfen. Wir können nicht unseren Atem beobachten und dann „PING“ ist der Schmerz ausgeknipst. Diese Erwartungshaltung würde den Druck noch weiter erhöhen und niemals zu einem gelasseneren Umgang mit der Situation führen. Denn dies brauchen wir: Gelassenheit.
Gelassenheit statt Angst. Denn chronischer Schmerz macht Angst. Er löst Sorgen darüber aus, wie es weitergehen mag. Er frustriert in seiner Hartnäckigkeit und macht wütend, weil man sich hilflos fühlt. Dies alles sind eigentlich nur Reaktionen auf den Schmerz, die aber unser Leiden ungeheuer verstärken!
Mit Hilfe von Achtsamkeitsübungen können wir in diesen Mechanismus eingreifen und „Stop“ sagen. Wir schauen hin, statt wegzulaufen. Wir halten inne und wenden uns dem Schmerz und unseren Gefühlen zu. Mit Hilfe unseres Atems lassen wir uns nicht überwältigen, sondern lernen, uns zu beruhigen, um genau schauen zu können, was wirklich geschieht. Oder ob da auch viele Gedanken sind, die uns verrückt machen, die unsere Sorgen verstärken.
Das MBSR-Training beinhaltet bewährte Techniken, wie man sich mit Hilfe von meditativen Achtsamkeitsübungen selbst beruhigen kann und auf diese Weise die Aktivität des sympathischen Nervensystems (Kampfmodus) runterfährt. Gleichzeitig lernen wir, wie man den „guten“ Gegenspieler, das parasympathische Nervensystem aktiviert.
Das parasympathische Nervensystem ist bei uns meist nicht so gut trainiert, weshalb wir es kräftigen müssen. Dies tun wie im Kurs mit meditativen Übungen.
Darüber hinaus lernen wir aber auch, achtsam unsere Reaktionen auf die Dinge des Alltags wahrzunehmen und zu bemerken, was bei uns Stress auslöst. Vielleicht überfordern wir uns ständig, wollen es allen recht machen und kümmern uns zu wenig um unsere eigenen Bedürfnisse. Das sind sehr starke Stressauslöser! Aber wir sind diesen Mustern nicht ausgeliefert. An diesen Kreisläufen können wir arbeiten.
Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und leben so sehr in unseren Automatismen, dass es uns gar nicht bewusst ist, was uns Stress macht. Auch das ist Teil des Kurses. Genau hinschauen und mitkriegen, wie wir im Alltag so ticken und wie wir mit uns selbst umgehen.
Durch dieses achtsame Hinschauen kommen wir ungesunden Mechanismen auf die Spur und lernen, freundlicher mit uns selbst umzugehen. Statt uns zu verurteilen oder an der Situation zu verzweifeln, können wir mitfühlend auf uns selbst schauen und lernen, gut für uns zu sorgen, damit das Leben wieder lebenswert wird.